Heimatverein Pliening e.V.
  Gelting - Landsham - Ottersberg - Pliening

Franz Xaver Oßner

Kurat in Gelting von 1947 bis 1958

Geschichte und Geschichten aus der Heimat von Erni Eder

Im Rahmen der Erzählungen, Berichte und Geschichten, die als weitere Vertiefung unserer Heimatgeschichte gedacht sind, möchte ich über einen Mann berichten, der wie kein anderer "Spuren" in unserer Heimat hinterlassen hat. Franz Oßner, Kurat von Gelting, ein "Pfarr-Herr" und eine unvergessene Persönlichkeit. Alle, die ihn in den 10 Jahren seines Wirkens als Ortspfarrer von Gelting und Religionslehrer des damaligen Schulsprengels Gelting - Pliening haben erleben dürfen, sind bis heute geprägt von der Kraft, dem Willen, der Überzeugung seines erzieherischen Auftrags und seines gläubigen Wirkens.

Doch zunächst zu Franz Oßner selbst. Geboren am 4.Aug. 1911 in Schrankbaum bei Vilslern - also ein waschechter Niederbayer, von manchen Leuten auch Niederbayerischer Querschädel genannt. Er wurde 1936 zum Priester geweiht. Stationen seines Wirkens als Geistlicher waren zunächst Velden/Vils, Kirchseeon, und Schellenberg, 1937 in Schliersee, 1938 in Pang, 1940 leistete er Wehrdienst, 1946 kam er nach St. Margaret in München und 1947 nach Gelting. Schon von Statur her war er ein Mann, der einem unweigerlich Respekt einflößte. Groß, stattlich, mit breiten Schultern und mit einer durchdringenden, rauhen, beeindruckenden Stimme ausgestattet. Zu gegebener Zeit konnte er auch gütig dreinschauen und herzlich, laut polternd lachen. Wenn er das "Gloria in excelsis deo" bei der Messe anstimmte, rüttelte das jeden Messebesucher unweigerlich auf.

Hier beginnt die eigentliche Geschichte, die ich als Nachkriegsgeborene und als sogenanntes "lediges Kind" mit ihm erleben durfte. Als Kurat Oßner in unsere Gemeinde kam, war ich gerade mal 1 Jahr alt. Es gab damals viele solcher Kinder wie mich in der Pfarrgemeinde, die ohne Vater in einer nicht kompletten Familie aufwachsen mussten. Kurat Oßner hat sich um diese Kinder gesorgt. Es waren die Nachkriegsjahre - mit Flüchtlingen aus aller Herren Länder, arme gestrandete Menschen, die Zuflucht und eine Perspektive für die Zukunft suchten. Die Aufgaben für einen Ortspfarrer waren vielschichtig und vielfältig, denn die sozialen, humanitären und seelsorgerischen Bedürfnisse der Menschen waren immens. Im Pfarrhaus, bei Kurat Oßner und seiner Schwester "Liesl" von allen kurz "Fräu`n Liesl" genannt, wurden zwei Schwestern einquartiert. Die "Kalender-Weiber" wurden sie im Dorf genannt, obwohl man den Namen richtig "Kalenda" schrieb. Es waren Flüchtlinge aus dem Sudetenland. Schutzlos, der Heimat entrissen, ohne Hab und Gut, waren sie gerade im Pfarrhaus bestens aufgehoben. Später ging das Gerücht, die beiden würden dem Pfarrer alles zutragen, was sich an Neuigkeiten, Ratsch und Tratsch in der Gemeinde ereignet hatte. Ich glaube, man hat diesen alten Damen ziemlich Unrecht getan.

Kurat Oßner jedenfalls wusste über alles und jeden Bescheid.

Noch ein Wort zu seiner Schwester Liesl, eine der gütigsten Menschen die ich je kennenlernen durfte. Sie war eine besonders gute Köchin und sie hat Herrn Kurat Oßner bestens versorgt. Einmal, anlässlich von Büroarbeiten, die wir Kinder verrichten mussten, hab ich im Pfarrhaus mitessen dürfen. Die Griesnockerlsuppe von Fräu`n Liesl war Spitzenklasse. Natürlich gab es solche Herrlichkeiten zu dieser Zeit nicht alle Tage .Aber auch sonst hat sie mit Diplomatie und Herzlichkeit die Arbeit des Pfarrers unterstützt.

Franz Oßner sah es als seine oberste Aufgabe an, den Menschen nach den Kriegswirren wieder Halt und Zuversicht zu geben. Er packte diese Herausforderung mit all seiner Kraft an. Mit eisernem Willen und vor allem mit unbändiger Strenge hat er versucht, gerade die jungen Leute in eine Richtung zu lenken, in der Zucht und Ordnung, Anstand, Sitte, Fleiß, Glaube und friedliches Miteinander herrschen sollten. Er hatte auch die Angewohnheit, allen und jedem seine unverblümte Meinung zu sagen, notfalls am Sonntag von der Kanzel herab. Widerworte gab es bei ihm nicht. Unmissverständlich hat er den Bauern klargemacht, dass der Sonntag ein gottgewollter Ruhetag ist an dem kein Heu herein gefahren oder gar geackert werden darf. Wie konnte er sich da echauffieren und schimpfen! Heutzutage würde er da sicherlich auf Granit beissen. Die Sonntagsruhe kümmert in diesen Tagen keinen mehr.

Als Religionslehrer- stets in gutem Einvernehmen mit der Lehrerschaft,- konnte er natürlich gerade in diesem Bereich großen Einfluss nehmen. Als ich 1952 in die 1. Klasse der Volksschule Gelting kam, war Kurat Oßner schon fünf Jahre in Gelting tätig. Die Buben und Mädchen der höheren Klassen und hatten einen unwahrscheinlichen Respekt vor ihm. Auch wir kleinen haben es gleich erkannt,- wer nicht pariert, bekommt das konsequent zu spüren. Von ihm geschimpft oder böse angeschaut zu werden, das reichte oft schon.

Von uns Schülern wurde erwartet, dass wir jeden Tag vor der Schule die heilige Messe besuchten. In der Religionsstunde hat der Herr Kurat stets abgefragt, wer nicht in der Kirche war - und wehe, man hatte keine plausible Erklärung parat. Jeden Tag in die Kirche, - heute würde das vermutlich einen Aufstand der Eltern nach sich ziehen. Uns Kindern hat es nicht geschadet. Wir haben gelernt, jeden Tag früh aufzustehen, um zu Fuß oder mit der Fahrrad nach Gelting zur Messe zu gelangen. Bei Regen und Wind, Kälte oder Hitze, da hat keiner gefragt, ob und wie man das schafft. Die Erziehung zum Frühsport hat so schon einmal funktioniert, was ganz im Sinne von Kurat Oßner war. Ganz nebenbei haben wir gelernt, dass man im Leben nur etwas ausrichtet, wenn man früh aufsteht, seine Aufgaben verrichtet und den Tag nützt. Was kann es für eine bessere Erziehung für junge Menschen geben ?

Strafarbeiten waren all jenen sicher, die nicht gespurt haben. Frechheiten oder ähnliches mussten wir, besonders die Buben büßen, in dem er sie an den kurzen Haaren neben den Ohren beutelte. Wenn ich meine Hausaufgaben, oder einen Teil davon vergessen oder nicht gemacht hatte, habe ich mich nach der Wandlung aus der Messe geschlichen, um dies im Klassenzimmer noch schnell nachzuholen. Mir war halt dann "schlecht geworden". Zum Glück hat mich niemand bei dieser Schwindelei erwischt. Jeden Samstag in der letzten Stunde - damals hatten wir auch samstags Schule - mussten alle Schüler in die Kirche hinübergehen, die unweit der Schule war, um die Lieder aus dem Gesangsbuch "Gotteslob" zu lernen. Die kleineren in die vorderen Bänke, die größeren in die hinteren Bänke. Einmal hatte einer von den 8-Klässlern einen Taschenkamm dabei und sich während des Singens frisiert. Plötzlich hörten wir ein Gerumpel - die letzte Reihe der großen Buben fiel um - Kurat Oßner hatte dem Übeltäter, der am äußersten Platz stand, eine solche "Watschn" verpasst, dass der ins wanken geriet und seine fünf Kameraden in der Bank mit umgerissen hat. In der Kirche - im Gotteshaus - das ist Frevel , da frisiert man sich nicht . Wir haben es alle begriffen. Die nachfolgende Predikt von Kurat Oßner hallte donnernd in der Kirche wider.

Wenn in der Sonntagsmesse nicht gescheit gesungen worden ist, mussten wir dableiben und nochmal üben und wenn es eine halbe Stunde dauerte. Es war Herrn Kurat egal, ob die Mutter mit dem Mittagessen auf uns wartete.

Einmal jedoch hab ich eine riesen Strafarbeit von Kurat Oßner bekommen. Ich musste den Text eines Liedes abschreiben, dessen Anfang er mir vorgegeben hatte. Ich hab das gesamte Gotteslob, alle Lieder durchgeblättert und diesen Text nicht um die Burg gefunden ! - Ja was nun, ich konnte doch nicht in die Schule ohne die Strafarbeit gemacht zu haben. Meine Seelennöte waren sehr groß. Mit schrecklicher Angst ging ich am nächsten Tag zur Schule. Ich musste es ihm doch sagen, dass ich die Strafarbeit nicht geschrieben habe. "Du Schaferl" sagte er zu mir, - die zweiten Strophen hättest dir anschauen sollen !l". Auf diese Weise hat er herausfinden wollen, wie raffiniert und schlau jemand ist. Es ärgert mich bis auf den heutigen Tag, dass ich da nicht draufgekommen bin. Aber so hat er jeden von uns nach seinen Fähigkeiten gefordert und gefördert.

Die erste heilige Kommunion, das war damals eine aufregende Sache für eine Viertklässlerin. Kurat Oßner hat unmissverständlich kundgetan, dass er keine Modepuppen in der Kirche sehen will. Trotzdem hat mich meine Mama zum Friseur geschickt, damit ich mir zur Erstkommunion meine Zöpfe abschneiden lassen sollte. Ich musste folgen - und kam weinend, aber mit einem Kopf voller Löckchen aus dem Geschäft.-

Es war bei Kurat Oßner üblich, dass die Kommunionkinder nach der Messe zu ihm ins Pfarrhaus zu einem Frühstück eingeladen wurden. Wir waren ja alle nüchtern und die Aufregung stand uns allen im blassen Gesicht. Fräu`n Liesl schenkte mir eine Tasse Kakao ein, auf der eine Milchhaut schwamm. - Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich mir diesen Anblick vor Augen führe. - Ich wollte doch nicht unhöflich sein und so habe ich dann mit Gottes Hilfe und winzigen Schlückchen den Kakao irgendwie hinter meine Kehle gebracht. Und die Semmel hat mir dann auch noch ganz gut geschmeckt, obwohl ich vorher durch alle Höllen gegangen bin. Nach einem Sieb zu fragen hätte ich mich nie im Leben getraut. Es war ein Tag, der den Gemeinschaftssinn unserer Schulklasse geprägt hat bis auf den heutigen Tag.

Wir waren ja jetzt schon größere Mädels und so hat uns Kurat Oßner eines Tages in sein Studierzimmer kommen lassen. Wir sollten von nun an das Lektorenamt während der Messe übernehmen. Also, in besagter Studierstube befand sich ein Schreibtisch, ein Stuhl, ein Haufen Bücher an der Wand und eine Art Divan, auf dem wir Platz nehmen sollten. Eine Polsterung war bei diesem Sitzmöbel so gut wie nicht vorhanden, promt fielen wir auch beinah auf den Boden als wir uns hinsetzten wollten. So ein altes Graffl hat der Herr Kurat, das hätten wir nie erwartet! Das Zimmer war außerdem so voll mit Zigarrenrauch, so dass wir uns gegenseitig kaum sehen konnten. Aber auch ein Pfarrer darf ein Laster haben und es waren durchaus "gute" Zigarren, die er sich geleistet hat. Alljährlich zu Weihnachten gab mir der Herr Kurat eine Kiste dieser "Qualmdinger" für meinen Großvater mit. Als Dankeschön für seine Tätigkeit als Chorleiter des Kirchenchores Gelting.

Dass er von den ledigen Kindern nicht viel gehalten hat, hat mich Kurat Oßner des öfteren spüren lassen. Immer wurden die Mädchen hervorgehoben, die Vornamen von Heiligen hatten. Einmal sollte ich zum Beispiel über meine Namenspatronin einen Bericht schreiben. So etwas hat er von den anderen Mädchen nicht verlangt! Das war alles recht und schön und leicht gesagt, wenn man nicht einmal weiß wer sein Namenspatron ist. Eine heilige "Erna" gibt es nicht, obwohl ich alle einschlägigen Bücher die in unserem Hause vorhanden waren danach abgesucht hatte. Die Bauernkinder hatten natürlich keine so ausgefallenen Namen - deren Namenspatrone waren allgemein bekannt (Agnes, Irmgard, Sofie, Anna, Paula usw.). Zur Versöhnung bekam ich von ihm ein Heiligenbild mit der Legende des Heiligen Ernestus - wieder so eine Geschichte um mich zu ärgern und herauszufordern.

Eine meiner Schulfreundinnen, deren Großvater der Mesner von Pliening und ein im Dorf überaus beliebter Mann war, hatte bei Kurat Oßner von Haus aus große Beliebtheit. Ich gebe zu, eine kleine Eifersucht war meinerseits schon vorhanden.

Ein besonderes Augenmerk hat Kurat Oßner stets auf die Jugendlichen des Dorfes gerichtet. Sittlichkeit und Anstand belegten einen hohen Stellenwert bei ihm. So kam es auch, dass ihm Faschings- und sonstige Tanzveranstaltungen häufig Anlass gaben, um die Mädchen und Burschen vehement anzugreifen und zu rügen. Freizügige Kleider, Petticoat und solche Dinge verdammte er auf das Schärfste. Es kam sogar vor, dass auch die Eltern, die das nicht verhindert hatten, von ihm zurecht gewiesen wurden. Kinobesuche von Jugendlichen waren bei ihm verpönt. Ja - es herrschte Zucht und Ordnung in Gelting. Man kann es nennen wie man will, meines Erachtens wurde schon damals die Grundlage für ein ordentliches und anständiges Miteinander das wir heute in unseren Dörfern haben, gelegt . Natürlich hat sich manches abgeschliffen und vieles geändert, aber die Basis dafür stammt aus den Tagen von Kurat Oßner, der ohne wenn und aber gesagt hat, wo es lang geht.

Im Jahre 1958 hat das Ordinariat beschlossen, Herrn Kurat Oßner zum Pfarrer zu befördern und ihm eine entsprechende Stelle in der Gemeinde Planegg bei München zugewiesen. Die Ministranten und Lektoren/innen haben ihn einmal dort besucht. 1981 trat er in den Ruhestand und verbrachte die letzten Jahre in Fendsbach bei Pastetten, also ganz in der Nähe von Gelting. Sein Buch "Gelting und Umgebung" , herausgegeben im Oktober 1985, ist eine hervorragende Dokumentation und lässt die Vermutung zu, dass er sein Gelting nie ganz vergessen hat.

Ein kleines aus hellem Holz geschnitztes Kruzifix, das über meinem Bett hängt, erinnert mich zeitlebens an Kurat Oßner. Alljährlich hat er demjenigen einen Preis versprochen, der jedes Engelamt mitgefeiert hat. Das Engelamt fand täglich im Dezember früh um 6.3o Uhr in der Geltinger Kirche statt. Einmal habe ich es geschafft, für jedes Rorate einen Beleg zu erhalten (der Beleg war ein kleiner Zettel, auf dem der Stempel " Benefizium Gelting" aufgedruckt war). Für mich als Schulmädchen war es eine große Leistung ganz allein, in aller Herrgottsfrühe bei Dunkelheit und Tiefschnee, den Weg von Ottersberg nach Gelting zu Fuß zur Messe zu gehen. Oft habe ich mich gefürchtet, aber dann hörte ich in der Ferne die Orgel spielen und ich fasste wieder Mut. Nachdem alle Belege eingesammelt waren und sich herausstellte, dass auch Geltinger und Plieninger Kinder alle Engelämter besucht hatten, hat Kurat Oßner kurzerhand eine Verlosung durchgeführt. Ich habe gewonnen und mit Stolz das kleine Kreuz nach Hause getragen.

Einmal habe ich ihn noch gesehen bei einem Klassentreffen. Ein Rest seiner Vitalität war auch im Alter immer noch zu spüren. Der Respekt für diesen Mann ist immer noch vorhanden, aber auch eine Dankbarkeit die man jemandem zollt, der ein hervorragender Erzieher war.

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