Heimatverein Pliening e.V.
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Maria Kressirer, geb. Polten, 37 Jahre verdiente Lehrerin an der Volksschule Gelting/Pliening

Geschichte und Geschichten aus der Heimat von Erni Eder und Willi Kneißl

Ein bewegtes Leben

Frau Maria Kressirer, geb. Polten, ist am 3. April 1925, in dem oberschlesischen Dorf Kreuzenort (poln. Krzyzanowice), Kreis Ratibor, zur Welt gekommen. Ganz nahe östlich fließt die Oder durch das ebene Land, unmittelbar am westlichen Ortsrand verläuft die Grenze Tschechiens. Ihre Eltern waren Paul und Johanna Polten. Der Vater arbeitete hauptberuflich als Schrankenwärter der Reichsbahn. Er betrieb gleichzeitig eine kleine Landwirtschaft. Maria durfte mit sechs Geschwistern glücklich aufwachsen. Nach fünf Mädchen hatte sich zuletzt noch ein Brüderchen zu der glücklichen Familie gesellt. Maria nahm als einzige unter den Geschwistern die schwere Arbeit wahr, die der Vater nach Dienstschluss in Stall und Feld leistete. Ihm zuliebe half sie willig. Nach und nach wurde ihr die Arbeit zur gerne angenommenen Gewohnheit. Als der Vater in den Krieg musste, wurde sie in früher Jugend schier zur selbständigen, vitalen Bäuerin.

Die Familie sah sich eng verbunden mit der katholischen Pfarrgemeinde St. Peter und Paul von Kreuzenort und pflegte ein aktiv religiöses Zusammenleben. Eine Schwester wird sich später einem katholischen Orden anschließen und Nonne werden. Die Kinder genossen bis zu den Katastrophenjahren 1944/45 einen geregelten Schulbesuch und konnten teilweise Abschlüsse tätigen. Maria durfte in Ratibor eine Handelsschule besuchen. Aber als Beruf nannte sie schon immer die Lehrerin als Lebensziel. Dieser Berufswunsch war freilich durch die Kriegsereignisse unmöglich geworden. Als im Winter 1944/45 die Ostfront und damit die rote Armee immer bedrohlicher näher rückten, entschlossen sich viele Schlesier zur Flucht in den Westen. Die Familie Polten aber blieb zunächst in ihrer Heimat. So musste auch Maria Polten als junges Mädchen den katastrophalen Einmarsch der russischen Soldateska erleben und kam nur knapp unversehrt davon. Eine ihrer Schwestern wurde brutal vergewaltigt und trug ihr Leben lang schwer an diesem Verbrechen.

Seit dem Frühsommer 1945 wurde die Ausweisung der deutschen Bevölkerung aus Oberschlesien durch polnische Stellen Zug um Zug in die Tat umgesetzt. Das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen von Personen deutscher Nationalität wurde vom polnischen Staat eingezogen. Die Ausgewiesenen wurden in primitive Züge gezwungen und nur mit dem Nötigsten versehen in das Deutschland westlich der Oder-Neisse weggebracht. Bei der Verteilung der vielen vertriebenen Menschen wurde für die Familie Polten das Saarland vorgesehen. Irgendwo auf der Weiterfahrt zu diesem Ziel beschloss Maria, sich von Mutter und Geschwistern zu trennen. Sie versuchte das Land Bayern als zukünftige Heimat zu erreichen und konnte sich in der Tat bis in die Nähe der verwüsteten Ruinenstadt München durchschlagen. Der Flüchtlingszug blieb im Bahnhof Dachau stehen. Hier wurden die Menschen von der amerikanischen Militärpolizei in nunmehr leerstehende Unterkünfte und Baracken der Wehrmacht eingewiesen. Schon lange hatte sich das schlesische Mädchen gewünscht und davon geschwärmt, im fernen schönen Bayernland zu leben. Nun hatte sie das schwere Schicksal der Vertreibung diesem Ziel zugeführt.

Der Vater Paul Polten war in russische Kriegsgefangenschaft geraten und erst drei Jahre später zu den Seinen in das Saarland gekommen. Eine der Schwestern Polten war in Kreuzenort zurückgeblieben in der schier unmöglichen Hoffnung nicht enteignet und vertrieben zu werden. Und sie hatte Glück, vielleicht durch Verehelichung. Ihre Kinder sind bis heute Eigentümer des Elternhauses geblieben.

Zielgerichtet setzte Maria Polten ihren Lebenslauf in ihrer neuen Heimat Dachau fort. Zahllose junge Lehrer waren an den Fronten gefallen. Viele Kollegen waren als ehemalige Mitglieder der NSDAP von der amerikanischen Militärbehörde außer Dienst gestellt worden, und die Schulklassen waren durch den Zuzug aus dem Osten überfüllt. Ein katastrophaler Lehrermangel war die Folge. Räume des Deutschen Museums zu München waren von den Bomben verschont geblieben. Dort richtete die Regierung von Oberbayern Kurzlehrgänge zur Ausbildung von Volksschullehrern ein. Maria Polten bewarb sich um die Teilnahme an einem derartigen Ausbildungsgang und wurde angenommen. Nach erfolgreich abgelegter Prüfung wartete sie auf ihren ersten Arbeitsplatz.

Erneut meinte es das Lebensschicksal gut mit der jungen Frau. Maria Polten durfte als Hilfslehrerin im Landkreis Dachau bleiben. Der Schulrat wies ihr als Dienstort die kleine Landschule Westerholzhausen bei Indersdorf zu. So war sie mitten im Herzen bayerischen Volkstums angekommen. Der Bürgermeister besorgte ihr ein Zimmerl im Dorfwirtshaus als Dienstwohnung. Dort wurde sie freundlich und hilfsbereit mit allem Nötigen versorgt. Ohne zu zögern und gerne nahm sie Mentalität und Sprache ihrer Schulkinder und deren Eltern an. Maria Polten liebte die Umwelt des Dorfes und seine Menschen: Ein Vorbild an persönlicher Integration. Die bayerischen Dörfer waren damals homogen, rein bäuerlich geprägt.

Der Wirt jammerte oft über die viele Arbeit auf den Feldern. Knechte und Helfer waren in den Krieg geholt worden und nicht zurückgekehrt. Die Lehrerin war sich nicht zu schade, in schulfreier Zeit bei der schweren Arbeit anzupacken. War die Kellnerin ausgefallen, oder der Andrang im Dorfwirtshaus zu groß, war sie auch einsatzbereit als Bedienung oder Schenkkellnerin. Zudringlichkeiten taktloser Gäste ließ sie nie gelten.

Im Juli 1952 endete der Lehrauftrag in Westerholzhausen. In Gelting, Ldkrs. Ebersberg, war eine Stelle anzutreten, die auch wöchentlich drei Unterrichtsstunden in ländlicher Hauswirtschaft erforderte. Die Regierung von Oberbayern sah für Maria Polten hier den richtigen Platz für sie. Im September 1952 trat sie an der Volksschule Gelting nunmehr als planmäßige Beamtin ihren Dienst an. Sie erhielt eine zwar enge, aber abgeschlossene Wohnung im Schulhaus. Dennoch blieb die Sehnsucht nach dem verlorenen Dachauer Bauernland überstark. In den Ferien verschwand sie regelmäßig aus Gelting und verbrachte die freie Zeit lieber bei ihren Bauersleuten im Dachauer Hinterland. Das änderte sich freilich im Jahre 1955. Sie heiratete den sieben Jahre jüngeren Holzfacharbeiter Hans Kressirer. Um der Enge im Schulhaus zu entgehen, pachteten sie das hiesige Ziegleranwesen. Nun war Maria Kressirer Lehrerin und Bäuerin in einer Person, eine schwere Bürde an Arbeit und Verantwortung. Die drei Kinder Johannes, Thomas und Maria kamen zur Welt. Endlich konnte sich die Familie am Trischbergerweg zu Gelting ein Eigenheim errichten. 1988 ging Maria Kressirer als Lehrerin in den Ruhestand. Am 4. Dezember 1993 verstarb ihr Ehemann Hans im 62. Lebensjahr. Auf dem Weg zum Gipfel des Hirschbergs am Tegernsee hörte sein Herz auf zu schlagen. Am 6. April 2005 erlag Maria Kressirer, gerade 80-jährig geworden, einer heimtückischen schweren Krankheit.


Im Mai 2017 Willi Kneißl

Das neue Schulfräulein ....

Mit Beginn des Schuljahres 1952 begann für mich und weitere ca. 20 Schulanfänger der Ernst des Lebens. Wir konnten damals noch nicht einschätzen, welch ein Glück wir hatten Frau Maria Polten als unsere Lehrerin zu bekommen.

Das "neue Schulfräulein" wie es hieß , war von der Regierung von Oberbayern vom Dachauer Land nach Gelting versetzt worden. Es ging gleich zur Sache mit lesen, schreiben und rechnen lernen und wir merkten bald, dass ein strenges Regiment herrschte. Aber wir verspürten auch, dass uns unsere Lehrerin gerne mochte - jeden auf seine spezielle Art. Man stelle sich eine 1. Klasse vor, die von Kindern der Nachkriegszeit zusammengewürfelt war - keine leichte Aufgabe - Frau Polten hatte für jeden das richtige Rezept.

Den Unterricht in die Natur hinaus verlegt, das war es, was uns gefallen hat. Hier hat sie die Wurzeln gelegt, für eine Heimatliebe, die beispielhaft war. Besonderns den Flüchtlingskindern unserer Klasse hat dies Halt und Stabilität gegeben. An jedem Feldkreuz das ich sehe, bete ich noch heute "Gelobt sei Jesus Christus" - genauso wie sie es uns gelernt hat. Dank zu sagen für die herrliche Natur, für die Heimat und auch den Menschen, die uns Gutes getan haben, hat sie uns eindrücklich vermittelt. Ich werde nie vergessen, wie wir in der Sprunggrube am Schulsportplatz gesessen sind und mit ihr - außerhalb der Schulzeit - miteinander gesungen haben." Ich reise über`s grüne Land, der Winter ist vergangen..........." Das hat unsere Herzen geöffnet. Völkerball und andere Spiele im Schulgarten waren an der Tagesordnung. Theaterspielen war auch so ein Mittel, mit dem sie uns Kinder begeistern konnte. Sogar im Greimel-Saal durften wir unsere Stücke aufführen. In einem Schattenspiel war ich das Sterntaler-Kind - im Hemd auf der Bühne - als die goldenen Sterntaler auf mich herabregneten, war ich überglücklich.

Die Zusammenarbeit mit dem Pfarrer und den Lehrerkollegen hat sie stets gepflegt und wir haben alle davon profitiert. Es war ein gutes "Miteinander" in der Erziehung der Schüler.

Einmal - es war im tiefsten Winter - die Mädchen hatten nachmittags Handarbeit, gingen wir in der Mittagspause auf den Karnerberg zum Schlittenfahren. Es war eine riesige Gaudi und vor lauter Spaß haben wir den Unterrichtsbeginn um 14.oo Uhr versäumt. Erst als die Kirchturmuhr halb drei schlug, haben wir es gemerkt. Schnellstens packten wir die Schlitten und strömten zur Schule, voll Angst, was nun passieren würde. Frau Polten hatte auf uns gewartet und sich unsere Entschuldigung angehört. Eine kleine Strafarbeit und eine größere Belehrung über Pünktlichkeit musste natürlich sein.

Mit großer Dankbarkeit erinnern wir uns noch heute an sie.


Erni Eder

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